Alte DDR-Rechner leisten noch gute Dienste

ESER-Technik vom West-Wind    verweht

MONIKA SCHALWAT , 2/1993 


 

 

Es gab in der Ex-DDR ein „Einheitliches System Elektronischer Rechentechnik" (ESER). Etwa 350 ESER-Anlagen standen in den Rechenzentren der Kombinate, Be­triebe, Ministerien, Verwaltungen und Hochschulen. Unter anderem handelte es sich dabei um die Ty­pen EC 1055, 1055M, 1056 und 1057 - gefertigt im Kombinat Ro­botron. Sie stellten die DV-Basis der Ex-DDR dar. Hinzu kämen die „Schwestern" aus der damaligen UdSSR (1035, 1036) und 1027-Maschinen vom tschechischen Nachbarn.

Betreiber der Rechner-Riesen muß­ten „großräumig" planen. Nicht nur die Maschine selber brauchte Platz., vor allem die Peripherie - externe Platten- und Magnetbandspeicher (in der

Regel bis zu acht Geräte pro Anlage) sowie geräuschvolle Kettendrucker - füllte ganze Säle.


 

Im Osten Deutschlands wird die Angleichung der Datenverarbeitung an westliches Niveau noch Jahre dauern. Wen wundert es da, wenn Rechnertechnik aus DDR-Zeiten weiter ihren Dienst tut - und das nicht einmal schlecht.

 

Die Ausstattung der Giganten war sehr unterschiedlich, zu 2 bis 16 MB Hauptspeicher kamen mehrere 100-MB-Plattengeräte sowie Ma­gnetbandeinheiten hinzu. Rechnete man alles zusammen, hatte eine DV-Dienstleister, zum Beispiel die DVZ Magdeburg, eine Rechnerka­pazität von einmal 3,3 GB und zweimal 1,6 GB. Gewartet wurde dieses Elektronikarsenal von eigenen Technikern der Rechenzentren und Service-Mannschaften des Kombinat Robotron. Mit dem deutschen Einigungsver­trag änderten sich auch alte DV-Strukturen. Moderne West-Technik überschwemmte den Ost-Markt, das Angebot an neuer Hardware war riesig. Firmen, die durch großzügige westliche Partner über genügend finanzielle Mittel verfüg­ten, begannen ihre bisherigen DV-Anlagen abzustoßen und durch neue zu ersetzen. Teilweise wurden die zur IBM-Welt (/360- und /370-Modelle) kompatiblen ESER-Main-frames jedoch weiter genutzt. Al­lerdings ersetzte man die beson­ders anfälligen bulgarischen Plat­tenspeicher durch sichere und lei­stungsfähige Geräte.

 

Auch Softwarehäuser, die sich verkleinern mußten - der ehemalige Hard- und Software-Riese Robotron

zerfiel in viele kleine Unternehmen - trennten sich meist von ihren bis-herigen DV-Anlagen und entschie­den sich für moderne Systeme. Be­reits   1991   rechneten Insider des­halb mit dem baldigen Ende der ESER-Ära,  obwohl zu dieser Zeit noch rund 37 Prozent dieser Anla­gen im Einsatz waren. Die IBM-Kompatibilität verhalf vor allem Big Blue zu einem guten Ein­stieg im Osten. Das Unternehmen zählte zu den Gewinnern des DV-Umbruchs (1991 etwa 800 Millio­nen Mark Umsatz). Zudem konnten DEC, Comparex, Siemens-Nixdorf (1991:  900 Millionen Mark Um­satz) und Unisys sowie verschiede­ne PC-Anbieter in den neuen Bun­desländern Erfolge verbuchen. Wenn man bedenkt, daß beinahe die ganze Datenverarbeitung der ehemaligen DDR - gleich welcher Branche  -  auf  ESER-Mainframes lief, so wird klar, daß eine Umstel­lung auf neue DV-Systeme von heu­te auf morgen so einfach nicht mög­lich   ist.   Erschwerend  kamen  der marode Zustand der ostdeutschen Wirtschaft und die unklaren Besitz­verhältnisse der Unternehmen hin­zu. Dort, wo alte DV-Projekte rela­tiv   sicher   liefen,   funktionierende Wirtschafts-  und  Verwaltungspro­zesse unterstützten, nutzte man die alten DV-Systeme weiter. Es wurden die   Peripherie   ausgetauscht   und Anpassungen vorgenommen. Dennoch war die Verschrottung voll im Gange: Anfang 1991 landeten 33  Prozent der alten Technik auf dem Müll, sechs Prozent der Rech­ner wurden stillgelegt, 10 Prozent verkauft, und 14 Prozent der Nut­zer rüsteten ihre Anlagen auf. Ab­nehmer - kleinere Firmen und Pri­vatleute - fanden die Personalcom­puter (PC 1715, A 7100, A 7150) aus alter DDR-Produktion, die su­perbillig zu haben waren. Beson­ders der XT-kompatible ESER-PC 1834,1835(16 Bit) - letzter Hard­ware-Stern von Robotron, der von 60 000 DDR-Mark auf 600 Mark nach der Wende gesunken war -wurde gerne gekauft. Nicht so der 32-Bit-Super-Minirechner K1840 (Rechnersystem mit virtuellem Spei­cher RVS, alter Preis etwa 1,5 Mil­lionen DDR-Mark) desselben Her­stellers. Er gehörte eher zu den Großen, die Platz und ein passen­des Rechnerumfeld mit Klima-Anla­ge etc. brauchten. Zum Einsatz kam er kaum: Noch heute liegt ein ori­ginal verpacktes Exemplar im ehe­maligen Institut für Informatik und Rechentechnik der Akademie der Wissenschaften. Sein Schicksal ist ungewiß, vermutliche Endstation: die Müllhalde.

Glanzzeiten hatten…  DDR-DV-Anlagen noch 1990 und 1991 bis zur Währungs­union in der damaligen Sowjetuni­on: Für über 1 35 Millionen DDR-Mark ging in diesem Zeitraum DV-Technik an den „Großen Bruder". In dieser Zeit war auch der Preis für den großen „Mini" gesunken: Etwa 30 000 Mark war er seinen Er­bauern damals noch wert. Den Wartungs-Service der DV-Alt-bestände haben heute zwei Ost­berliner Unternehmen übernom­men: Die Computer Service Partner (CSP) betreut etwa 15 bis 20 ESER-Mainframe-Anwender in Ost­deutschland; für zwölf Kunden gibt es feste Verträge. Bei der Compu­ter-Vertriebs-Union (CVU) kümmert man sich um die noch in Betrieb be­findlichen Personalcomputer. Die Groß-Rechner sind bei so man­chem Anwender immer noch voll im Einsatz. Zu ihnen zählt die Deut­sche Reichsbahn, die ihr gesamtes Platzkartensystem und die zentrale Frachtabrecnnung des Güterver­kehrs über vier ESER-Maschinen (1057, 1056, 1055) rund um die Uhr abwickelt - und das, wie man dort versicherte, stabil und zuver­lässig. Sobald jedoch Geld aus Bonn fließt, soll auch dort eine bes­sere Technik her. Denn alle acht Reichsbahn-Zentralen sollen dem­nächst in Berlin konzentriert wer­den. Mit der dann anfallenden Da­tenmenge dürften auch mehr als vier ESER-Maschinen total überfor­dert sein.

ESER-Wartung wird auch heute noch garantiert

Von der selbst entwickelten Soft­ware will man sich bei der Reichs­bahn nicht so schnell trennen, sie soll erweitert und angepaßt wer­den. Auch im Halbleiterwerk Frankfurt an der Oder (1055,1056) und der Energiever­sorgung Berlin (EBAG) wurden die „Alten" noch nicht auf den Müll ge­worfen. Nur eine Frage der Zeit? Wenn ja, bleibt zu fragen, wer von den ostdeutschen Unternehmen Zeit hat. Müssen sie doch wesentlich flinker sein als ihre Mitbewerber. MONIKA SCHALWAT

Februar 1993   edvASPEKTE  53