Dr. Manfred Günther- der erste Chefkonstrukteurs der DDR im ESER-
erinnert sich in einem Gespräch im Mai 2008
zur Startperiode der Arbeiten am
ESER
Anmerkung:
Das renommierte Moskauer "Virtuelle Computermuseum" hat
diesen Artikel auch in seinen Bestand
aufgenommen.
1968/1969 war den DDR- Entwicklern und
Fertigungsspezialisten mit der ROBOTRON 300 - EDVA eine
Erfolgsstory gelungen, auf deren Basis nachfolgend die
internationale Position der DDR- IT- Technik aufgebaut werden
konnte.(siehe auch Bild
oben)
Dr. Manfred Günther berichtet von
Zusammenhängen und Episoden und beantwortet Fragen mit
Tiefe und Präzision.
Seine Augen leuchten und sein Gesicht lebt so, wie viele seiner
Mitstreiter ihn aus der Anfangszeit des ESER kennen und verehren. Doch
dieses Interview- Gespräch mit dem Autor dieser WEB- Site fand nicht in den 70ger Jahre statt, wie hunderte Beratungen damals, sondern in den
Maitagen des Jahres 2008 –
fast genau 40 Jahre nach
den denkwürdigen und interessanten Ereignissen bei der Vorbereitung und
Gründung des ESER.
Die drei
Chefkonstrukteure der DDR im ESER während eines Treffens im Mai 2008:Mitte: Dr. Manfred Günther,
rechts Prof. Dr. Gerhard Merkel, links der Autor.
Historisch verbürgte Fakten und Zusammenhänge aus der Startphase
des ESER- 1968 / 1969, vor und nach Gründung der Mehrseitigen
Regierungskommission Rechentechnik waren bislang unter
„www.eser-ddr.de“ und in anderen Quellen unvollständig oder
einseitig dargestellt.
Es ist daher besonders erfreulich, diesen
Mangel durch Erinnerungen des ersten Chefkonstrukteurs der DDR
für das ESER - Dr. Manfred Günther- weitgehend beseitigen zu
können bzw. eine authentische Facette „aus sehr gut informierter
Quelle“ hinzuzufügen. Obwohl nur noch wenige Unterlagen erhalten
sind, sind seine Erinnerungen frisch und erstaunlich vielseitig…
.
Eine erste Frage betrifft zunächst
die Geschehnisse der Jahre 1968/ 1969, speziell die
Architektur- relevanten Fakten im Vorfeld des
Abschlusses des mehrseitigen
„Abkommen
über
die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Entwicklung, Produktion und Anwendung
von Mitteln der Rechentechnik“ vom 23.12.1969 (MRK - ESER- Vertrag)
zwischen den Regierungen der
Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik, der Deutschen
Demokratischen Republik, der Volksrepublik Polen der Union der
sozialistischen Sowjetrepubliken und der Tschechoslowakischen
Sozialistischen Republik, dabei insbesondere das Zusammenwirken zwischen
UdSSR und DDR.
Dr. Manfred Günther nimmt zunächst Bezug
auf den Artikel
von
Generalkonstrukteur Victor
Prschijalkowskij zur ESER- Geschichte (Original im Moskauer
Internet- Computer-Museum)
und
erinnert sich dieser Zeit in vielen Details. Er war zu jener Zeit
Entwicklungschef der VVB "Datenverarbeitung und Büromaschinen" (DuB) mit Sitz
in Erfurt, der zentralen Vereinigung Volkseigener Betriebe (VVB) der
DDR für die Rechentechnik, Datenverarbeitung und Büromaschinen.
In der DDR war bekanntlich die
Profilierung der Volkswirtschaft in vollem Gange, zu der unter W. Ulbricht
bereits 1956 die Aufgabe formuliert wurde, die „Produktion von
Elektronenrechenmaschinen sowie die Entwicklung der Halbleitergeräte für
verschiedene Zwecke“ einzuleiten. Als Instrument zur Arbeit an einer koordinierten Systempolitik war ja bereits
am 1.April 1957 der VEB Elektronische Rechenmaschinen Karl Marx Stadt gegründet
worden. Mit dem Regierungs-
"Programm zur Entwicklung, Einführung und Durchsetzung der
maschinellen Datenverarbeitung in der DDR" wurde dann 1964 ein
neuer Industriezweig geschaffen. Die Vereinigung Volkseigener
Betriebe für Datenverarbeitungsanlagen und Büromaschinen (VVB DuB) war als
zentrales Wirtschaftsorgan dafür zuständig. Und was weiterhin wichtig war:
in der DDR wurde 1966 Günter Kleiber als Staatssekretär für
Datenverarbeitung beim Vorsitzenden des Ministerrates der DDR eingesetzt, der dann im April 1967 auf dem
VIII. Parteitag der SED zum
Kandidaten des Politbüros des ZK der SED gewählt wurde. Das war ein
Ausdruck für die besondere politische und wirtschaftliche Bedeutung, die
damals der Entwicklung, Produktion und Anwendung der maschinell
Datenverarbeitung in der DDR beigemessen wurde, was auch wirkungsvoll
in der Gestaltung der Zusammenarbeit mit der UdSSR genutzt werden konnte. Dr.
Günther erinnert sich daran besonders, weil in dieser Zeit an die VVB DuB
nicht nur besonders hohe Anforderungen gestellt wurden, sondern weil diese
Konstellation auch hochrangige Kontakte mit UdSSR- Regierungsstellen und
-Wissenschaftlern ermöglichte.
Im Vorfeld des Abschlusses des mehrseitigen
Regierungsabkommens , des
MRK - ESER- Vertrages ,
war im Ergebnis von Beratungen von Partei- und
Regierungsdelegationen beider Länder bereits am 22. Dezember
1968 ein zweiseitiges Abkommen geschlossen worden , im Juni 1969
wurde dazu ein Ergänzungsabkommen vorrangig zu
Fragen der Arbeitsteilung geschlossen.
Im Verlaufe des Zeitraumes bis Dezember 1969 erfolgten daher
intensive zweiseitige Spezialisten -Beratungen zu den Inhalten
des Projektes "Ряд", später "ESER Reihe 1" . ( s.u. "Eckpunkte"
)
Zu
Architektur- relevanten Fakten
unterstreicht
Dr. Manfred Günther eingangs, dass in
der DDR mit der Arbeit am System-Konzept R-400 mit seiner stabilen /360- Orientierung eine langjährige
kontinuierliche Arbeit erfolgte. Das erweckte für viele DDR- Beteiligte den Eindruck, dass
auch in den Entscheidungsprozessen der UdSSR der Marktführer favorisiert war. Lakonisch stellt
der Gesprächspartner dazu fest, dass die
Prozesse zur Entscheidungsfindung in der UdSSR für die Wahl der
Vorbild – Architektur offenbar sehr viel komplexer verliefen, als selbst in
den beiden Artikeln des ESER-Generalkonstrukteurs Victor Prschijalkowskij über die
ESER-Geschichte
und die
Geschichte des NIZEWT
nachzulesen. Die Analyse- und Entscheidungsprozesse in der UdSSR, wie man
sie dort aus den Darlegungen von V.V. Prschijalkowskij entnehmen kann,
können aus DDR- Sicht um wesentliche Fakten ergänzt werden.
Bereits im Rahmen der mehrseitigen
Arbeiten in der Sektion 3 der Kommission Radioelektronik des RGW waren in
den Jahren 1966/67 Arbeiten mit dem Ziel der Schaffung eines gemeinsamen
Systems kompatibler EDVA angelaufen, die DDR-Seite hatte schon damals die Weiterführung
ihrer R-300- Konzeption mit IBM Orientierung vorgeschlagen (Projekt R-400).
Im Verlaufe des
ersten Halbjahres 1968 besuchte dann in bisher ungewohnter Art eine Reihe
hochrangiger UdSSR- Regierungs- und Wissenschafts-Delegationen die DDR.
Sie interessierten sich besonders für die Potentiale und Arbeiten der
DDR auf dem Gebiet der Entwicklung neuer Datenverarbeitungssysteme,
aber auch für die Produktionspotentiale der traditionellen
Büromaschinenindustrie Thüringens und Sachsens. Dr. Günther nennt aus
eigenem Erleben mehrere Besuche des Jahres 1968 von größeren "Spezialisten"-Teams
der UdSSR in Einrichtungen der VVB DuB (Vereinigimg Volkseigener
Betriebe der Daten- und Büromaschinenindustrie), darunter in Sömmerda, Erfurt,
Karl- Marx- Stadt (ELREMA), Radeberg u.a.. Er erinnert sich dabei auch an den Besuch des Chefs
der 8. Hauptverwaltung des Ministeriums für Radioindustrie der UdSSR (MRI) M. K. Sulim, an den
Direktor des NIEM S. A. Krutowskich, dem späteren ersten
Generalkonstrukteur des ESER, und an weitere Persönlichkeiten, deren Rolle
den DDR- Verantwortlichen oft erst später klar wurde. Das waren im
Gegensatz zu den früheren Partnern der RGW- Kommission
13/ Sektion 3 ausschließlich Vertreter des Ministeriums für
Radioindustrie (MRI), was offenbar mit der
Übertragung der Verantwortung für das Projekt „Rjad“
in der UdSSR an das MRI zu erklären
war.
Zeitlich lagen diese Besuche
parallel zum Prozess der
abschließenden Beschlussfassung in der UdSSR zum Architektur- Prototyp des Systems „Ряд“ (REIHE), was aber nach außen
nicht deutlich wurde. Ab 1969 setzten sich derartige Besuche
leitender Persönlichkeiten der UdSSR dann fort, darunter auch des 1. Stellvertreters des Vorsitzenden der
Staatlichen Plankommission (GOSPLAN)
der UdSSR M.E. Rakowski, des späteren ständigen Vorsitzenden der MRK
Rechentechnik und des Ministers für Radioindustrie der UdSSR (MRI) V.D.Kalmykow.
Man konnte bislang aus den
zurückhaltenden Äußerungen von V. V. Prschijalkowskij
zur Geschichte der Kooperation DDR/ UdSSR insbesondere in der ESER-
Startphase zwar
durchaus entnehmen, dass die Offenlegung des Arbeitsstandes der
Software-Technologie des DDR-Projektes „Robotron
400“ im Verlaufe des Jahres 1968 den Vertretern der /360- Architektur in
der UdSSR gute „pro /360“-Argumente und Fakten vermittelte. Aber die Fragen
der Software- Technologie waren offenbar nur die bekannte Spitze des
Eisberges. Verschiedene Spezialisten-Beratungen zwischen UdSSR und DDR aus dem
Jahre 1968 erhöhten nach Meinung von M. Günther die Wahrscheinlichkeit
stark, dass
die sehr offene Darlegung des komplexen Arbeitsstandes der DDR am Projekt R-400 , seiner Dokumentationsquellen
und die Durchführung verschiedener gemeinsamer Arbeiten in der DDR an Importgeräten
und die Demonstration der Software-Revers-Technologie entscheidend dazu beitrugen, dass in der UdSSR letztlich die Fakten
zu Gunsten der /360- Architektur für das Projekt
„Reihe“ dominierten.
Eine Offenlegung des Arbeitsstandes seitens
der DDR war damals noch sehr ungewöhnlich, besonders wegen der
Spezifik der Dokumentationsbeschaffung. Sie wurde aber operativ notwendig,
um den Erhalt und kontinuierliche Weiterführung der laufenden
Arbeiten am Projekt R-400 in der DDR
unter sich abzeichnenden neuen Bedingungen der Kooperation zu sichern und um gravierende Verluste
der DDR bei einer eventuellen Änderung der Systemorientierung
durch die UdSSR zu vermeiden, die strategische Weitsicht der
Systemanalytiker der DDR durchzusetzen
Ein Beispiel blieb besonders in Erinnerung:
Zweiseitige Spezialisten-Teffen im Sommer 1968 in Moskau machten deutlich,
dass in der UdSSR interne Positionskämpfe zur Wahl der künftigen Systemarchitektur erneut
aufflammten, wobei sowohl einheimische (Akademie- eigene vaterländische ) Systemlösungen, als
auch andere Architektur- Optionen (ICL, Siemens) zur Diskussion standen. Es
gab Informationen, dass die ESER- Software auf Basis einer offenbar
außerordentlich günstigen Lizenz einer englischen Firma entstehen
sollte. Wenn
diese Orientierung verbindlich würde, hieße das für die Arbeiten in der DDR
eine empfindliche Verzögerung der Entwicklung moderner EDVA um weitere Jahre
und den Verlust eines hohen Anteils bereits geleisteter Vorarbeiten
und Investitionen- abgesehen von einer strategischen Fehlorientierung!
Aber
insbesondere das Ergebnis umfangreicher Analysen zu internationalen Trends
und Marktentwicklungen hatten die Überzeugung gefestigt, dass eine Abkehr
von der IBM- Architektur unweigerlich in eine Sachgasse führen würde:
spätestens bei der Verschärfung der US- COCOM Doktrin. Eine nachdrückliche Einflussnahme durch Regierungsstellen der
DDR gegenüber Regierungsstellen der UdSSR war daher dringend geboten.(
siehe
Anmerkung)
In solchen kritischen Phasen dieser
Prozesse ( und später bei verschiedenen Grundfragen der
Vertragsregelungen) half auf hoher Regierungsebene das persönlich Wirken
des damaligen Staatssekretärs Günter Kleiber, aber wohl eher sein politisches Gewicht
als Kandidat des Politbüros des ZK der SED, um die gewählte DDR-
Linie gegenüber den UdSSR – Partnern zu bekräftigen und letztlich als
Grundlage der Zusammenarbeit zu erhalten. Das unterstrich das hohe Niveau
der laufenden DDR- Arbeiten und trug sicher wirkungsvoll dazu bei,
dass andere Architektur- Varianten in der UdSSR nicht zum Tragen
kamen. Die
Entscheidung für System /360 ermöglichten schließlich die
kontinuierliche Fortsetzung der Arbeiten in der DDR.
Rückblickend kann man also durchaus berechtigt feststellen, dass wesentliche Teile der Systementscheidungen
der UdSSR zum „Prototyp“ für das ESER de facto durch die vermittelten
Informationen über die Arbeiten am Komplex R-400 bei ELREMA Karl- Marx- Stadt und
die erklärte Bereitschaft der DDR beeinflusst wurden, die Entwicklungsergebnisse der
UdSSR zur Verfügung zu stellen sowie die weiteren Entwicklungsarbeiten
gemeinsam mit der UdSSR durchzuführen.
Danach wurde der "/360-Prototyp“
für das ESER
letztlich mehrseitig verbindlich
beschlossen.
Hier schließt sich die Frage an, in
welchen Schritten sich der Wandel von einer zweiseitigen Kooperation zu
der dann realisierten mehrseitigen Kooperation darstellte und welche
Partnerschaften dabei existierten.
Einleitend
stellt Manfred Günther
fest, dass die Prozesse der zweiseitigen und mehrseitigen Zusammenarbeit im
Verlaufe der Jahre 1968/1969
stark
parallel und verflochten
verliefen.
Eckpunkte
:
-
1968 wurde die Vorbereitung des
zweiseitigen
Abkommens zur Kooperation und Spezialisierung auf dem Gebiet der
Rechentechnik UdSSR/ DDR mit der Unterzeichnung des Abkommens am
22.12.1968 abgeschlossen. Die Unterschrift für die DDR
leistete Gerhard Schürer,
der Vorsitzende der Staatlichen Plankommission der DDR und
Vorsitzende des DDR-Teils der Paritätischen Regierungskommission
UdSSR/ DDR;
-
Die zweiseitigen Arbeiten gemäß Abkommen liefen mit voller
Konsequenz an;
-
Mitte 1968 begannen mehrseitige Arbeiten am
ESER- Konzept und –Abkommen, die Bildung einer
Mehrseitigen Regierungskommission wurde beschlossen;
-
Mehrere Tagungen
einer Mehrseitigen Regierungskommission (MRK)
und des Rates der Chefkonstrukteure ESER (RCK),
beginnend Anfang 1969, dienten dem Start der mehrseitigen Arbeiten
am ESER- System;
-
Am
23.12.1969
wurde auf der 3. Tagung der Mehrseitigen Regierungskommission das ESER aus dem
Stadium eines Projektes in den
Status einer Mehrseitigen Regierungsvereinbarung erhoben.
Die
Unterschriften leisteten Regierungsbevollmächtigte, für die DDR
unterzeichnete Günter Kleiber
in
seiner Funktion als Staatssekretär beim Vorsitzenden des
Ministerrates der DDR.
-
Das MRK- Abkommen von 1969
wurde 1980
und 1982 ergänzt
-
Die DDR- Mitgliedschaft wurde am
20.
9. 1990 in Moskau unter
Verweis auf den Inhalt des
Artikels 12 des Einigungsvertrages- "Verträge der Deutschen
Demokratischen Republik" - in einer Beratung zwischen
Manfred Günther
und dem Vorsitzenden des Staatlichen Komitees für Rechentechnik und
Informatik der UdSSR Herrn Tolstich beendet.
|
Die
verschiedenen Aspekte dieser Prozesse werden dann durch Dr. Günther näher erläutert:
Die Abstimmungen und Verhandlungen zur
gemeinsamen Schaffung von Mitteln der Rechentechnik/ Datenverarbeitung
erfolgten zunächst in zweiseitiger Kooperation zwischen UdSSR und DDR gemäß
entsprechender Regierungsprotokolle lange vor Beginn der
Zusammenarbeit mit dem MRI der UdSSR.
Auch die Arbeiten der ständigen
Kommission 13 des RGW und deren Sektion 3 waren auf ein leistungsfähiges
kompatibles EDVA- System gerichtet. Die Entwicklung der zweiseitigen Zusammenarbeit
mit der UdSSR und schließlich auch der mehrseitige Zusammenarbeit
auf dem Gebiet des ESER sei aber
nicht
direkt auf die Arbeiten der ständigen Kommission 13 des RGW und deren
Sektion 3 zurückzuführen. In der Sektion 3 wurde die UdSSR von Experten des
Ministeriums für Gerätebau der UdSSR vertreten. Diese schlugen eine
Konzeption aus einer Entwicklungseinrichtung der UdSSR in Sewerodonezk, die zum Ministerium für Gerätebau und
Automatisierung gehörte, mit der Bezeichnung „ASWT“
(„Automatisiertes System der Rechentechnik“) vor . Diese Systemkonzeption kam der
DDR- Konzeption R-400 zwar nahe, war aber als „multivalente Architektur“
nicht /360 typisch.( später wurden
Muster mit SIEMENS Architektur bekannt).
In der UdSSR wurden aus Gründen, die uns
damals verborgen blieben, 1968 die internen Verantwortlichkeiten für eine
leistungsfähige Modellreihe kompatibler EDVA offiziell
dem Ministerium für Radioindustrie (MRI) der UdSSR zugeordnet. Die Informationen, welche z.B. über
verschiedenste Interna
innerhalb des Ministeriums und des NIZEWT nach
1990 veröffentlicht wurden,
waren selbst den Leitern im DDR- Ministerium für
Elektrotechnik/ Elektronik unbekannt. Partner in den folgenden zweiseitigen
Beratungen und bei der Vorbereitung und Realisierung des mehrseitigen
Abkommens wurde also das MRI.
Später wurde klar-dieses Ministerium verfügte über beachtliche
Kapazitäten auf dem Gebiet der Rechentechnik. Zu diesem Ministerium gehörte
auch das Werk „Ordschonikidse“ in Minsk, in
welchem u. a. die Rechnerserien URAL und MINSK produziert wurden. Und wie
wir heute wissen war dieses Ministerium das Leitministerium für die
Entwicklung und Produktion von universellen und spezialisierten
Rechnersystemen in der UdSSR und sehr stark in den
militärisch- industriellen Komplex der UdSSR eingebunden (
elektronische Bordausrüstungen für Flugzeuge und bodengestützte Systeme
u..a).
Im Bereich des MRI war eine
Konzeption für ein Rechnersystem entwickelt worden, das uns im Zuge der Vorbereitung des zweiseitigen
Abkommens Mitte 1968 auf einer Beratung bei GOSPLAN der UdSSR als System „Rjad“ (Reihe) vorgestellt
wurde und im Weiteren die Grundlage aller zwei- und mehrseitigen
Arbeiten wurde. Diese Konzeption vertieften die UdSSR – Spezialisten dann
in einer zweiseitigen Spitzenberatung mit einer DDR- Spezialisten- Gruppe
in Moskau Mitte 1968,
an der auch Dr. Günther teilnahm, in der sie ein umfangreiches, 5 Bände umfassendes „Vorprojekt“ zum System „Rjad“ (REIHE) -später
ESER-1 vorlegten und erläuterten. Für die beteiligten führenden DDR- Spezialisten aus
mehreren Industriebereichen (Datenverarbeitungs- und Büromaschinen,
elektronische Bauelemente) wurden darin gute Chancen für ein gemeinsames
systemtechnisches und technologisches Zusammenwirken unter Nutzung der
schon bestehenden DDR – Basis gesehen. Dieses /360 orientierte Konzept wurde daher DDR- seitig als Basis der zweiseitigen Kooperation voll
unterstützt.
Parallel zu technischen
Konzeptionsarbeiten auf zweiseitiger Basis unterbreitete die UdSSR ab Mitte 1968 auf Regierungsebene bereits verstärkt
ihren Standpunkt für eine mehrseitige
vertragliche Kooperation und Spezialisierung im Bereich der
Rechentechnik. DDR- Regierungsstellen und Fachleute sahen 1968 aber
zunächst noch Vorteile in einer wirkungsvollen zweiseitigen technischen und
wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Arbeitsteilung zwischen der UdSSR und
der DDR und konzentrierten ihre Arbeiten darauf. Das entsprach auch
Regierungsprotokollen, wo die Vorbereitung eines zweiseitigen Abkommens
vereinbart war.
In der Zeit der Vorbereitung des zweiseitigen Abkommens von
Dezember 1968 und seines Ergänzungsabkommens vom Juni 1969 gab es zwischen
beiden Seiten u.a. harte Auseinandersetzungen zur Spezialisierung. Die
sowjetische Seite vertrat den Standpunkt, dass sich die DDR auf die
Entwicklung und Produktion elektromechanischer Peripheriegeräte
konzentrieren solle. Sie argumentierte, die UdSSR habe genügend
Kapazitäten, um die DDR mit EDVA- Zentraleinheiten zu versorgen. Vor
allem der zuständige Abteilungsleiter in GOSPLAN (später lange Zeit
Leiter des Ökonomischen Rates der MRK-Rechentechnik),
Herr Samarin, war hierzu ein maßgeblicher Vertreter. Und Manfred Günther
ergänzt : „In den von mir
beobachteten mehr als 20 Jahren haben sie diese Meinung nie ganz
aufgegeben“. Betrachtet man jedoch auch die von Viktor Prschijalkowskij 1995
dokumentierte total unbefriedigende Situation bei der Entwicklung und
Produktion von ESER- EDVA in der UdSSR, dann wird deutlich, wie entfernt von
der systemtechnischen Realität derartige Standpunkte waren. Insofern war die
mit dem zweiseitigen Regierungsabkommen und auch später in der mehrseitigen
Zusammenarbeit durchgesetzte
Spezialisierung der DDR auf
mittlere EDVA und auf Betriebssysteme
prägend und von
außerordentlicher wirtschaftlicher Bedeutung für die Entwicklung der
Rechnerindustrie der DDR in den folgenden 20 Jahren.
Im zweiseitigen Vertrag vom 22.12.1968 wurde auch fixiert:
Artikel 1: „Beide Seiten schaffen in den
Jahren 1971-1973 ein einheitliches System der elektronischen Datenverarbeitungstechnik.
Artikel 7: „Jedes sich aus diesem
Abkommen ergebende Vorgehen der Seiten wird mit der Arbeit zur Schaffung
des einheitlichen Systems der elektronischen Datenverarbeitungstechnik für
alle interessierten sozialistischen Länder koordiniert. Die DDR und die Sowjetunion werden sich
an den Arbeiten in der zu diesem Zweck durchzuführenden mehrseitigen
Zusammenarbeit mit allen interessierten sozialistischen Ländern beteiligen.
Seitens der UdSSR- Verantwortlichen
der Staatlichen Plankommission (GOSPLAN) wurde aber die mehrseitige
Zusammenarbeit offensichtlich eindeutig als Schwerpunkt in der
Politik der UdSSR zur sozialistischen ökonomischen Integration vertreten.
Wie wurde denn das mehrseitige Abkommen( MRK- Abkommen) zur
Rechentechnik mit seinen Festlegungen zur Arbeitsweise und zur
Struktur der Arbeitsorgane und den fachlichen Zielen
mehrseitig vorbereitet?
Oben wurde bereits dargestellt,
dass die Prozesse der zweiseitigen und mehrseitigen Zusammenarbeit im
Verlaufe der Jahre 1968/1969 stark
parallel und verflochten verliefen.
Der erste Stellvertreter des Vorsitzenden
der UdSSR-Plankommission, M. E. Rakowski, hatte bereits im Verlaufe des
Jahres 1968 gegenüber G. Kleiber auf die Notwendigkeit einer mehrseitigen
Zusammenarbeit hingewiesen. Ein Antwort- Schreiben des Vorsitzenden des
Ministerrates der DDR W. Stoph an den Vorsitzenden des Ministerrates der
UdSSR N. A. Kossygin (
Kopie des Schreibens) lässt erkennen, dass in der DDR zunächst Bedenken bezüglich der
Effektivität einer mehrseitigen Arbeit bestanden, aber wohl vor allem die
Sorge existierte, die Umsetzung der zweiseitig vereinbarten Systempolitik
und Spezialisierung auf Basis der Arbeiten zu den Konzepten „R-400“
und „Rjad“ könnte verzögert oder verändert werden
und dass damit zu befürchten wäre, dass die umfangreichen
systemtechnischen Vorleistungen in der DDR mit großen
ökonomischen Verlusten nutzlos würden.
Es war unbestritten,
die Position der UdSSR auf diesem bedeutenden Gebiet der
wissenschaftlich technischen Entwicklung und auch anderer interessierter
sozialistischer Länder mit einzubeziehen bzw. nicht auszuschließen. Daher wurde der
Schaffung eines Rates der Chefkonstrukteure der beteiligten sozialistischen
Länder von der DDR- Regierung zugestimmt mit dem deutlichen Hinweis
auf Beibehaltung des Systemkonzeptes „Rjad /
R-400“.
Ab Herbst des Jahres 1968 erfolgten
Treffen von Beauftragten der Länder, weit vor der offiziellen
Unterzeichnung des „Mehrseitigen Regierungsabkommens zur gemeinsamen
Entwicklung, Produktion und Anwendung eines einheitlichen Systems der
elektronischen Rechentechnik“ Ende 1969. In dieser Phase wurden
bereits leitende Persönlichkeiten der Länder für die technische Leitung der
Arbeiten berufen. Als
Chefkonstrukteur der DDR wurde Dr. Günther, damals als Direktor für Forschung
und Entwicklung der VVB DuB, benannt.
Die Struktur der Kommission
insgesamt und auch die Arbeitsorgane des Rates der Chefkonstrukteure
entstanden aus der Zielstellung, ein
Projekt als „Einheitssystems“ zu realisieren. Dabei wurde u. a. der
Grad der Vereinheitlichung innerhalb dieses Systems sehr kontrovers
diskutiert. Von einigen Teilnehmern, vor allem von der sowjetischen Seite
wurde zunächst der Standpunkt einer absoluten Einheitlichkeit „bis zur
letzten Schraube“ vertreten. Maßgeblich waren offensichtlich hier die
Anforderungen des militärischen Komplexes, im Havarie Fall/ Verteidigungsfall
erforderliche Services und die Ersatzteileversorgung bzw. eine schnelle Austauschbarkeit von Geräten mit wenig Aufwand zu gewährleisten. Schließlich verständigte man sich auf das von
allen Seiten als realisierbar erkannte Ziel einer Vereinheitlichung auf der
Ebene der Interfaces und der Basiskonstruktion sowie die Gewährleistung der
Aufwärtskompatibilität zwischen den Modellen der „Reihe“ als Zielstellung
für die „Einheitlichkeit" des Systems zu fixieren.
Viele
Details der Organisation wurden offenbar aus
Projekt- Dokumenten übernommen, wie sie in der UdSSR für strategische
Großprojekte üblich waren und sich bewährt hatten. Auch die Vorschläge zur
Strukturen der Arbeitsorgane und die Prozeduren der Entscheidungsfindung und
der Prüfung der Ergebnisse erinnerten stark an straffe,
halbmilitärische Arbeitsmethoden. Auffallend waren auch die Bestrebungen der
UdSSR- Seite, die allgemeinen Systemforderungen an ein System sowjetischer
Standards anzulehnen, die aus dem militärisch- industriellen Komplex
stammten.
In den Beratungen zur Vorbereitung
des Regierungsabkommens beeindruckten aber vor allem die hohen
Bedarfszahlen, welche die UdSSR- Vertreter in vorläufigen Dokumenten
darstellten. Allen
Beteiligten war klar, dass die UdSSR der Hauptbedarfsträger für die
Ergebnisse der Zusammenarbeit ist. Damit und natürlich auch unter den
politischen Gegebenheiten war der deutliche systemtechnische und
wirtschaftliche Führungsanspruch der UdSSR in allen Organen der künftigen
Regierungskommission begründet.
Viele der ursprünglich genannten Zahlen erwiesen sich allerdings dann Jahre später als
wesentlich zu hoch
angesetzt.
Insgesamt war erst zum Jahresende
1969 das Abkommen fertig gestellt, welches zu einem konkreten und
zielgerichteten Handeln einer großen Zahl von Fachleuten und
Organisationen in den beteiligten Ländern führte.
Warum wurde das MRK- Abkommen außerhalb
der Regelungen des RGW vorbereitet und abgeschlossen?
Hier
soll auf eine sehr häufig anzutreffende
unkorrekte Einordnung der Zusammenarbeit im ESER als Arbeiten innerhalb des
"Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe der sozialistischen Länder" ( „RGW
“) hingewiesen werden.
Die Zusammenarbeit zur Schaffung des ESER
und auch aller später noch vereinbarten Komplexe (u. a. zum System der
Kleinrechner „SKR“ und zu elektronischen Bauelementen und Ausrüstungen) im Rahmen der
mit dem Abkommen von 1969 gebildeten Regierungskommission war nicht
Bestandteil der Organisation des RGW, sondern erfolgte unabhängig von den
Gremien und Leitungsorganisationen des RGW im Rahmen der von den
Regierungen der beteiligten Länder mit dem Abkommen vom Dezember 1969
speziell
gebildeten „Mehrseitigen Regierungskommission"- der sog. "MRK- Rechentechnik" .
Im Rahmen der MRK- Rechentechnik und aller ihrer Organe galten
Entscheidungen zu den Grundsätze der Führung, die
Entscheidungsfindung und Abstimmung
verbindlich, anders als im
Rahmen der RGW Organisationen. Ohne diese Verbindlichkeit wäre die Verwirklichung eines solchen
komplexen Vorhabens auch nicht möglich gewesen. So waren im Rahmen der
MRK- Rechentechnik, deren ständiger Vorsitzender, die Leiter der Räte der
Chefkonstrukteure und aller Spezialisten Räte und zeitweiligen
Arbeitsgruppen grundsätzlich verantwortliche Führungskräfte aus der UdSSR.
Im Rahmen des RGW erfolgte hingegen in den Kommissionen und anderen Arbeitsorganen jeweils ein
turnusgemäßer Wechsel des Vorsitzes zwischen Führungskräften der beteiligten Länder.
Aus
solchen und sicher auch anderen Gründen haben sich auch nicht sofort alle
dem RGW angehörenden Länder dem MRK-Abkommen angeschlossen. Erst später
traten dem Abkommen dann die Sozialistische Republik Rumänien und die
Republik Kuba bei.
Und noch eine Frage zu
einem „wunden Punkt“ der mehrseitigen Spezialisierung
– warum wurde letztlich
DDR- seitig auf die Weiterführung der begonnenen Entwicklung und
Produktion von Magnetplatten – Speichern verzichtet, deren
Qualität und verfügbare Menge ja eine Schlüsselrolle für
eine effiziente Anwendung von EDV-Systemen hat?
M. Günther erinnert sich dazu vieler
Details:
Im Rahmen der Projekte für R-400 wurde
bei Robotron/ Radeberg auch die
Entwicklung eines 14 Zoll Wechselplattenspeichers mit einer Kapazität
von 7,25 MByte/ Spindel eingeleitet und bis zur Kleinserienfertigung
geführt. In der DDR wurden Ende der 60-er Jahre, auch im Zusammenhang mit
der Vorbereitung des zweiseitigen Abkommens mit der UdSSR vom Dezember 1968,
und weiter bis Anfang der 70-er Jahre umfangreiche Arbeiten zur Einordnung
der erforderlichen Kapazitäten für eine bedarfsgerechte Produktion, für
Inland und
zu erwartenden Export unternommen, ohne den eine derart kapital- und
ingenieurintensive Linie undenkbar ist. Der DDR Bedarf und die Exportchancen
sprachen für ein wirtschaftliches Produktionsvolumen. Sowohl Betriebe der
Elektrotechnik und auch des Maschinenbaus der DDR verfügten über ein
geeignetes technologisches Basisprofil, aber kaum über Investitionsmittel, um diese Aufgaben zusätzlich einzuordnen. Der Bedarf einerseits und die
Kapazitäts- und Technologie- Voraussetzungen andererseits in Einklang zu
bringen, das war wie die Quadratur des Kreises. Für die
Plattenspeichertechnik eine Großserienfertigung in Radeberg aufzubauen, war
im Rahmen verschiedener Planungs-Konzepte mehrfach geprüft und immer wieder
negativ beschieden worden.
Anders
agierten die Bulgaren. Der bulgarische Teil der MRK- Rechentechnik unter
Leitung des Mitglieds des Politbüros des ZK der KP Bulgariens und
Stellvertreters des Ministerrates der VRB , Prof. Ivan Popov, erklärte seine
Bereitschaft, in Bulgarien die erforderlichen Voraussetzungen für die
Entwicklung und eine stabile Großproduktion von Wechselplattenspeichern zu
schaffen und den Bedarf der Teilnehmerländer auf diesem Gebiet zu decken.
Die bulgarische Seite folgte dabei der Erkenntnis, dass Speichertechnik,
damit auch Wechselplattentechnik, in EDV- Systemen eine Schlüsselposition
einnehmen und diese Erzeugnisse in einer Größenordnung Produktionsvolumina
und Exporte ermöglichen würden, die vergleichbar mit der
Autoindustrie sind. In Bulgarien wurden außerordentlich hohe
Investitionen und Importe an technologischen Spezialausrüstungen realisiert,
mit dem Bau mehrerer großer Werke begonnen und große Kapazitäten für die
Entwicklung moderner Plattenspeichertechnik aufgebaut.
Bulgarien verfügte über die notwendigen Arbeitskräftereserven und brachte
hohe Valutasummen auf. Von all dem
konnten sich auch DDR-Delegationen oftmals augenscheinlich überzeugen.
Bei den
später anlaufenden Importen von Plattenspeichern aus Bulgarien zeigte sich
jedoch, dass es ungeachtet enormer wirtschaftlicher Anstrengungen nicht
gelungen war, mit der Einführung in die Produktion auch die erforderliche
höchste Qualifikation der Mitarbeiter , sowie die hohe Qualität bei
Basismaterialien und Baugruppen selbst zu sichern. Der wachsende Abstand bei
der Einführung neuer Produkte hatte auch wirtschaftlichen
Konsequenzen im Handel.
Der politische und durch
enorme Investitionskosten begründete
sachliche Druck
zur Spezialisierung der VRB für Plattenspeicher führte Anfang der 70-ger
Jahre im Glauben in die Leistungsfähigkeit der ökonomischen Integration
zunächst zur Beendigung der Plattenspeicher- Arbeiten in der DDR. Die Probleme allerdings blieben.
Insbesondere die Limitierungen im bilateralen Warenaustausch auf
ausgeglichene Export/Import-Bilanzen, aber auch die über eine längere Zeit
in Bulgarien nicht bewältigten Qualitätsprobleme führten letztlich dazu,
dass Plattenspeicher im ESER immer eine kritische und nicht hinreichend
gelöste Position blieben.
Mitte der 80-ger Jahre wurde daher
in der DDR die Entscheidung getroffen, mit hohem Aufwand wieder eigene
moderne 5,25“ und 3,5“ Winchester-Platten zu
entwickeln und schrittweise für mehrere Architekturlinien zu produzieren – allerdings kamen diese Entwicklungen unter
den gegebenen Bedingungen nicht mehr zum Tragen und wären ökonomisch und
patentrechtlich auch nicht exportfähig gewesen.
Man sieht also, es waren große und
komplexe Themen, deren Lösung unter den gegebenen Umständen nicht
zufriedenstellend erreicht wurde. Hier war die „Spezialisierungspolitik" bei
Plattenspeichern also, so meint M. Günther nachdenklich, letztlich keine
Fehlentscheidung der DDR- Führung, sondern die bestehenden Möglichkeiten
stießen an objektive systembedingte Grenzen.
Am Start der zwei- und mehrseitigen
Arbeiten zur Rechentechnik war die DDR mit einer deutlich größeren Zahl von
Nomenklatur- Positionen im Entwicklungsplan vertreten. Später nahm die
DDR- Beteiligung im ESER deutlich ab… . Was
waren die Hauptaspekte dieser Entwicklung, die besonders bei der
Systemkomplettierung der ESER- EDVA der DDR zunehmende Probleme brachten ?
Dr. Günther versucht
eine kurze Antwort, wenngleich, wie er sagte, diese Problematik
eigentlich nur mit sehr
komplexen Zusammenhängen hinreichend zu behandeln wäre.
In der Startphase des ESER erfolgte
die Leitung des DDR-Industriezweiges bekanntlich noch einheitlich durch die VVB
Datenverarbeitungs- und Büromaschinen und das zweiseitige Abkommen zur
Rechentechnik mit des UdSSR vom 22.12.1968 war das erste internationale
Abkommen, verbunden mit vielen Erwartungen zur Erschließung des RGW-
Marktes. Eine große Zahl von Positionen in der Nomenklatur der für die
gegenseitigen Lieferungen vorgesehenen Erzeugnisse erschien damit
vorteilhaft.
Während in den Anfangsjahren die
Zusammenarbeit im Rahmen der MRK Rechentechnik sich ausschließlich auf das
ESER konzentrierte, führte die internationale Entwicklung leistungsfähiger
Kleinrechner zum Beschluss der MRK- Rechentechnik ein „System der
Kleinrechner“ (SKR) als weiteren Zweig in die Zusammenarbeit aufzunehmen.
Damit verbunden war in den beteiligten Ländern außer der UdSSR eine
deutliche System-Parallelität. Die erfolgreiche Startphase des ESER
implizierte den Wunsch, dessen Leitungsstruktur und Arbeitsorganisation
auch für das SKR anzuwenden. Nicht nur für die DDR war es daher scheinbar
sinnvoll, bestimmte Produkte sowohl für das ESER und auch für die SKR
Nomenklatur anzumelden.
Im Rahmen tiefgreifender
wirtschaftsorganisatorischer Veränderungen im Verlaufe der 70-er und 80-er
Jahre in der DDR erfolgte u. a. die Bildung der Kombinate Robotron und Zentronik und damit
verbunden auch eine Erhöhung der Eigenverantwortlichkeit dieser Kombinate.
Diese volkswirtschaftlichen Prozesse und die zwischenzeitlich gesammelten
Erfahrungen in der mehrseitigen Zusammenarbeit führten automatisch auch zur
Veränderung des Entscheidungsrahmens zu Fragen der Spezialisierung.
Diese standen im Kontext mit den
gegenüber den Möglichkeiten überproportional wachsenden Anforderungen der
Volkswirtschaft an die Betriebe der Elektrotechnik und Elektronik. Zu
berücksichtigen waren die Erfahrungen, dass erhoffte Lieferungen aus den
Teilnehmerländern am ESER wegen nicht ausreichendem Aufkommens und
Qualitätsmängeln bei den Erzeugnissen
und wegen nicht einordenbarer Anteile in den Außenhandelsbilanzen nicht in der erforderlichen
Größenordnung realisierbar waren und Importe mit konvertierbaren Devisen unter
den Bedingungen des bestehenden Embargos gegenüber der DDR und nur begrenzt
zur Verfügung stehender Valuta extrem limitiert und schwierig waren.
Praktische Erfahrungen in den ersten Jahren der Zusammenarbeit vermittelten auch
die Erkenntnis, dass bei Nomenklatur Positionen die Exporterwartungen nicht
immer realistisch waren (produktionsreife Erzeugnisse wurden dort
aufgenommen) . Die Praxis zeigte, dass die Aufnahme einer
Entwicklung in die Nomenklatur des ESER oder des SKR zwar eine notwendige
aber durchaus nicht hinreichende Bedingung für einen zukünftigen Export
oder Import dieses Erzeugnisses war, sondern die jeweilige Bilanzierbarkeit
der Handelsvolumina in den zweiseitigen Handelsbilanzen war die
entscheidende Voraussetzung für die zu erwartenden und auch zu
realisierenden Größenordnung des Exports oder Imports. Diese Bedingung
überschattete die technischen und systemtechnischen Gegebenheiten und
Erfordernisse der Kooperation im Rahmen eines nur als System praktisch
nutzbaren Erzeugnis- Komplexes -wie elektronische Datenverarbeitungssysteme-
aus Komponenten die in verschiedenen Ländern hergestellt werden.
Die Dienststellung des
Chefkonstrukteurs der DDR im ESER veränderte sich in der DDR mehrfach.
Sie konnten aber auf wesentliche DDR- Entscheidungen im Rahmen der MRK stets
Einfluss nehmen. Wie sehen Sie rückblickend diese Prozesse?
Im Rat der Chefkonstrukteure
des ESER und insbesondere in den Spezialisten Räten gingen die Arbeitsthemen
nach ihrem Anlauf immer
stärker in technische Details und deren Führung. Die Aufgabe des DDR-
Chefkonstrukteurs im ESER war nach Abschluss der
umfangreichen und erfolgreichen Startphase aus einer Dienststellung im Ministerium mit der erforderlichen aktuellen Kompetenz
dauerhaft nicht
mehr hinreichend zu gewährleisten. In dieser Phase entschied der Minister
für Elektrotechnik und Elektronik der DDR und Leiter des DDR-Teils der MRK-
Rechentechnik Otfried Steger in voller Übereinstimmung mit Dr. Günther,
die Verantwortung des Chefkonstrukteurs der DDR im ESER dem Direktor für
Forschung und Entwicklung des Kombinats Robotron
zu übertragen. Wenige Jahre später wurde die Funktion des Chefkonstrukteurs
der DDR für das ESER dann im Wesentlichen aus gleichen Überlegungen heraus dem Direktor des
ESER- Entwicklungszentrums in Karl- Marx- Stadt übertragen.
Dr. Günther wurde in diesem
Zusammenhang vom Minister EE zum Stellvertreter des Leiters des DDR- Teil
der Mehrseitigen Regierungskommission - Rechentechnik berufen. Er
begleitete damit weiterhin die 1968 begonnenen ESER- Arbeiten und die weiteren
Arbeitsgebiete der MRK- Rechentechnik.
Diese
Funktion nahm er bis zur Auflösung des DDR-Teils der MRK-
Rechentechnik mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland war.
Mit diesem Gespräch erhielten wir einen
repräsentativen Blick auf den Start in ein wichtiges Stück interessanter
DDR- Wirtschaftsgeschichte. Vielen
Dank für ein äußerst instruktives Gespräch.
Anmerkungen:
- Artikel wurde mit Stand 15.03.2009 aktualisiert und ergänzt
- Die
Erinnerungen von
V.K. Lewin
sagen, dass die Verfügbarkeit der
umfangreichen Dokumentation zum IBM- Prototyp in der UdSSR letztlich den
entscheidenden Fakt für die Fixierung von IBM/360
durch die UdSSR- Regierung darstellte.
Allerdings war ihm offenbar die o.g. Zusammenarbeit
mit der DDR bei der Unterlagenbeschaffung nicht bekannt.
© Dr.Jungnickel
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